Ungeklärte Eigentumsverhältnisse

Als wir 2021 mit der Unterstützung der Ferdinand-Möller-Stiftung die Geschichte des Kaufhauses erforschten, war schnell klar, dass es mit Hermann Karger einen jüdischen Besitzer hatte. Obwohl ich in Neuruppin aufgewachsen bin, war mir das bis dahin nicht bewusst.

“In Neuruppin gab es nur wenige jüdische Familien” hatte ich immer wieder gehört. Im Heimatmuseum gibt es nur ein Bild und ein Dokument zum rituellen Schlachten, dass die jüdische Kultur zeigen soll. Im Archiv des Museums finden sich auch die Recherchen des Gymnasiallehrers Uwe Schürmann, der ehrenamtlich Informationen und Dokumente zusammengetragen, Spuren verfolgt und Schicksale ermittelt hatte.

Dort findet sich auch der Hinweis auf Max Silberberg, der in der Karl-Marx-Straße 15, damals Friedrich-Wilhelm-Straße 15, als Sohn eines Schneidermeisters geboren wurde. Er zählte zu den bedeutendsten Kunstsammlern seiner Zeit, er wurde in Theresienstadt oder Auschwitz ermordet. Die Erinnerung an ihn und seine Familie sollte ausgelöscht werden.

Lücken im Stadbild, Lücken in der Erinnerung

In der Erinnerung der Stadt ist wenig Platz für die Schicksale von Max Silberberg, Hermann Karger und das der anderen Jüdinnen und Juden. Neuruppin als ‘preußischste aller preußischen Städte’ fokussiert die Erinnerung auf ein idealisiertes, stark verzerrtes Bild im preußischen Kontext. Die Videoinstallation wurde in der Fischbänkenstraße 20 gezeigt. Hier lebte Max Silberberg bevor er Neuruppin verließ. Es ist der Versuch die Erinnerung an Max Silberberg zu ermöglichen.

Unscharfe Erinnerung

Die Verfolgungs- und Vernichtungstaten der Nazis wurden von gewöhnlichen Menschen begangen, die in einer modernen Gesellschaft lebten und handelten, welche der unseren nicht unähnlich ist […] – Saul Friedländer

Mit dem Ende des ersten Weltkrieges und der ultimativen Erniedrigung Deutschlands setzte gleichzeitig eine Verklärung Preußens ein. Das geflügelte Wort “jeder komme und lebe nach seiner Facon” und Friedrich der Große als Philosoph prägen heute die Darstellung Preußens als Weltoffenen und toleranten Staat.

Jüdisches Leben in Neuruppin

Uwe Schürmann Recherchen zeigen, dass 1933 ca. 30 Jüdinnen und Juden in Neuruppin lebten. 1938 waren viele bereits geflohen. Im Rahmen unseres Projektes recherchierten auf Basis der Namen aus Schürmanns Dokumenten sowie dem inzwischen zugänglichen Arolsen Archiven und den Informationen der Gedenkstätte Yad Vashem.

Als Teil seiner Recherchen fand Schürmann die Adressen der Geschäfte mit jüdischen Hintergrund. Mir war bis dahin nicht bewusst wie viele jüdische Geschäfte es in Neuruppin gegeben hatte.

Der Stadtplan von Neuruppin. Hervorgehoben sind die Geschäfte zu deren Boykott die Nationalsozialisten 1933 aufgerufen haben. (Filmstill aus der Videoinstallation)

Der anteil Menschen jüdischen Glaubens an der deutschen Bevölkerung lag 1938 bei ca. 0,8 %. In Neuruppin lag der Anteil weit darunter.

Sucht man in den Archiven der Gedenstätte Yad Vashem nach dem Stichwort Neuruppin finden sich 52 Menschen mit Verbindungen nach Neuruppin. Sie sind dort geboren oder haben dort gelebt, alle wurden ermordet.

Darunter Justus, Theodor, Max und Emilie Drucker. Die Familie Drucker betrieb eine koschere Fleischerei, sie wird im Heimatmuseum erwähnt weil die koschere Schlachtung zu Protesten in der Neuruppiner Bevölkerung führte. Das Schicksal der Familie selbst wird nicht weiter beleuchtet.

Der Eintrag zu Max Silberberg wurde 1999 durch seine Schwiegertochter hinzugefügt, er wäre sonst wohl vergessen.

Da ab 1938 Jüdinnen und Juden dazu verpflichtet waren genaue Angaben zu ihrem Vermögen zu machen lassen sich durch diese Dokumente weiter Menschen finden, deren letzter Wohnort vor der Deportation Neuruppin war. In den Arolsen Archiven lässt sich der Vordruck finden:

Max Silberg füllte das 16 seitige Formular am 29. April 1942 aus. Im Abschnitt VI. Kunst und Wertgegenstände zeichnete er lediglich einen Strich.

In Breslau wurde die Nationalsozialistische Raub und Mordmethodik bereits kurz nach der Machtergreifung angewandt. Max Silberberg, der inzwischen Geschäftsführer der Firma Weissenberg, die Magnesit herstellte und damit Stahlwerke in ganz Deutschland, Polen, Belgien und Spanien belieferte, musste diese Position aufgeben und die Firma verkaufen.